Bundessozialgericht – B 9 SB 86/19 B – Beschluss vom 06.03.2020
Für die Frage der Bestimmtheit eines Verwaltungsakts ist in erster Linie auf den Verfügungssatz des Verwaltungsakts abzustellen. Für die Auslegung des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts kann aber auch auf dessen Begründung und auf begleitende Unterlagen abgestellt werden.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich in der Hauptsache gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40. Das LSG hat – wie zuvor bereits das SG – den angefochtenen Herabsetzungsbescheid der Beklagten vom 28.6.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.7.2017 für rechtmäßig erachtet. Der Zeitpunkt, ab dem der Bescheid vom 10.12.2014, mit der der GdB auf 50 festgesetzt worden sei, aufgehoben werde, sei zwar in dem Herabsetzungsbescheid nicht genannt. Im Wege der Auslegung ergebe sich aber, dass die Aufhebung ab dem 28.6.2017, dem Datum des Bescheiderlasses, erfolgt sei. Das Datum des Bescheiderlasses werde ausdrücklich genannt. In der Begründung heiße es sodann, der GdB sei “nun” niedriger zu bewerten. Zudem sei der Klägerin zusammen mit dem Bescheid eine Bescheinigung der Beklagten nach § 65 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) übersandt worden, wonach der GdB nur noch 40 betrage und diese Bescheinigung “ab dem 28.06.2017” gültig sei (Beschluss vom 19.11.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und einen Verfahrensmangel geltend.
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil sie die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 – B 9 V 63/17 B – juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 – B 9 V 35/17 B – juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin hat jedoch bereits die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend dargetan. Sie unterzieht sich nicht der im Rahmen der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit unerlässlichen Mühe, sich mit der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung und Bestimmtheit von Verwaltungsakten auseinanderzusetzen. So weist sie selbst unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 6.2.2007 (B 8 KN 3/06 R – SozR 4-2600 § 96a Nr 9) darauf hin (Beschwerdebegründung Seite 3 oben), dass diese Frage “bereits geklärt” sein könnte, “etwa im Wege eines Umkehrschlusses”. Schon vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin aber prüfen müssen, ob sich aus diesem Urteil oder aus anderen Entscheidungen des BSG zur Bestimmtheit und Auslegung von Verwaltungsakten bereits Anhaltspunkte für die Beantwortung des von ihr mit der Frage aufgeworfenen Problemkreises entnehmen lassen. Denn auch dann gilt eine Rechtsfrage bereits als geklärt (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 12.4.2019 – B 9 SB 4/19 B – juris RdNr 7 f mwN). Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung aber nicht.
2. Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Beschluss oder Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 – B 9 V 27/18 B – juris RdNr 8 mwN). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin trägt vor, das LSG weiche von dem Urteil des BSG vom 6.2.2007 (B 8 KN 3/06 R – SozR 4-2600 § 96a Nr 9) ab. Das BSG habe dort den Rechtssatz aufgestellt, dass für die Frage der Bestimmtheit eines Verwaltungsakts in erster Linie auf den Verfügungssatz des Verwaltungsakts abzustellen sei, notfalls auch auf dem Verwaltungsakt “beigefügte Unterlagen”, nicht aber auf etwaige andere begleitende Schreiben. Dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss, dass für die Auslegung des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts auf begleitende Unterlagen oder auch auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte abgestellt werden könne. Indem das LSG den Rechtssatz aufgestellt habe, dass die Frage der Bestimmtheit des Regelungsgehalts und damit auch der Bestimmtheit eines Verwaltungsakts im Wege der Auslegung ermittelt werden könne und dass hierfür auch auf Begleitschreiben abgestellt werden könne, weiche es von der vorgenannten Entscheidung des BSG ab.
Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bezeichnet. Insbesondere hat sie keinen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG bezeichnet. Denn sie führt selbst zutreffend aus, dass nach dem zitierten Urteil des BSG vom 6.2.2007 zur Auslegung des Verfügungssatzes eines Verwaltungsakts neben der Begründung des Verwaltungsakts auch “auf ihm beigefügte Unterlagen zurückgegriffen” werden kann (aaO, RdNr 38). Die Klägerin trägt aber zugleich vor, dass die Beklagte ihr die Bescheinigung nach § 65 EStDV zusammen mit dem Herabsetzungsbescheid übersandt habe, diese ihm also “beigefügt” gewesen sei. Sofern die Klägerin der Meinung ist, das LSG hätte diese dem Verwaltungsakt beigefügte und auf ihn als Nachweis gegenüber der Steuerverwaltung über den festgestellten GdB inhaltlich Bezug nehmende Bescheinigung (hier nach § 65 Abs 1 Nr 2 Buchstabe a EStDV) der Beklagten dennoch nicht bei der Auslegung des Regelungsgehalts des Herabsetzungsbescheids berücksichtigen dürfen, geht Ihr Vorbringen nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus. Im Kern kritisiert die Beschwerde letztlich nur eine falsche Rechtsanwendung des LSG im Fall der Klägerin. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt aber die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die Rechtsprechung des BSG in dem angefochtenen Beschluss infrage stellt. Dies ist aber selbst dann nicht der Fall, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 7.10.2016 – B 9 V 28/16 B – juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 1.10.2019 – B 13 R 360/17 B – juris RdNr 9).
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass das Berufungsgericht insoweit Bezug genommen hat auf eine Literaturstelle, namentlich auf Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 12/11, § 31 RdNr 35. Denn auch Littmann beruft sich für die Auffassung, dass für die Auslegung der Regelung eines Verwaltungsakts neben der Begründung auch alle mit dem Erlass des Verwaltungsakts im Zusammenhang stehenden Umstände heranzuziehen seien, zu denen ua auch “Begleitschreiben” gehörten, neben ober- und höchstrichterlicher verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ausdrücklich auch auf weitere – von der Klägerin hier nicht genannte und gewürdigte – Rechtsprechung des BSG.
3. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist eine Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen. Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Das LSG habe sie in der letzten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht auf ihr Antragsrecht nach § 109 SGG hingewiesen. Mit diesem Vortrag hat sie keinen Verfahrensmangel in zulässiger Weise bezeichnet. Ihr Vorbringen lässt schon außer Acht, dass keine Verpflichtung des Gerichts besteht, auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 109 SGG auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes hinzuweisen (BSG Beschluss vom 26.3.2013 – B 1 KR 35/12 B – juris RdNr 12). Der Ausschluss einer Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 109 SGG in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG gilt umfassend und unabhängig davon, worauf der Verfahrensmangel im Einzelnen beruht (stRspr, zB BSG Beschluss vom 22.7.2010 – B 13 R 585/09 B – juris RdNr 8 mwN). Im Übrigen ist das Gericht auch sonst nicht nach § 106 SGG verpflichtet, die Beteiligten auf die Möglichkeit eines Beweisantrags hinzuweisen. Das Tatsachengericht hat vielmehr gemäß § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hält es eine Beweiserhebung für notwendig, hat es nicht einen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis auch ohne Antrag zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2019 – B 5 R 2/19 B – juris RdNr 22 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 13 SB 274/19 – Beschluss vom 19.11.2019
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40.
Die Klägerin leidet maßgeblich an einer Wirbelsäulenerkrankung. 2014 erfolgte eine operative Versteifung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Mit Bescheid vom 10.12.2014 stellte die Beklagte einen GdB von 50 fest. Dem war eine persönliche Untersuchung der Klägerin durch den Orthopäden Dr. T vorausgegangen, der das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 50 bewertete.
Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens ließ die Beklagte die Klägerin erneut durch Dr. T untersuchen, der ausführte, es sei eine wesentliche Besserung insofern eingetreten, als keine frühpositiven radikulären Reizerscheinungen mehr vorlägen und die Halswirbelsäule nunmehr in ihrer Beweglichkeit frei sei. Der Einzel-GdB für das Wirbelsäulenleiden betrage nunmehr 30. Hinzu kämen Funktionseinschränkungen im Bereich der unteren Extremitäten, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten seien. Der GdB betrage nun 40. Nach Anhörung der Klägerin zu einer Herabsetzung des GdB auf 40 hob die Beklagte den Bescheid vom 10.12.2014 teilweise auf. Der GdB sei nun niedriger und betrage 40. Beigefügt war eine Bescheinigung nach § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 28.06.2017, wonach der GdB 40 betrage. Die Bescheinigung sei ab dem 28.06.2017 gültig. Die Klägerin legte am 13.07.2017 Widerspruch ein und verwies auf die Gewährung von Rentenleistungen wegen voller Erwerbsminderung sowie auf ein Bluthochdruckleiden. Die Bezirksregierung N wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2017 zurück.
Die Klägerin hat am 23.08.2017 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben, ergänzende Befunde vorgelegt und u.a. vorgetragen, das Wirbelsäulenleiden habe sich nicht gebessert.
Für die Beklagte hat der Sozialmediziner Dr. M in versorgungsärztlichen Stellungnahmen ausgeführt, die vorgelegten ergänzenden Befunde rechtfertigten keine höhere Bewertung. Das Bluthochdruckleiden und die Leiden der unteren Extremitäten hat er zunächst mit Einzel-GdB von 20, später mit Einzel-GdB von 10 bewertet.
Das Sozialgericht hat Befundberichte diverser behandelnder Ärzte beigezogen und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. N1 aufgrund ambulanter Untersuchung eingeholt. Dieser hat ausgeführt, das Wirbelsäulenleiden habe sich gebessert und sei nur noch mit einem Einzel-GdB von 30, das Bluthochdruckleiden und die Leiden der unteren Extremitäten nur mit Einzel-GdB von jeweils 10, der GdB insgesamt mit 30 anzusetzen.
Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17.06.2019 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide für den Zeitraum 28.06.2017 bis 01.07.2017 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Kosten seien nicht zu erstatten. Der GdB habe zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides nicht mehr als 40 betragen. Der Einzel-GdB für das Wirbelsäulenleiden habe wegen mittelgradiger Beeinträchtigungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten 30 betragen. Die Beurteilung von Dr. N1 sei überzeugend und stimme im Ergebnis mit der von Dr. T überein. Demnach liege auch eine deutliche Besserung gegenüber 2014 vor. Die von der Klägerin vorgelegten Berichte führten zu keinem anderen Ergebnis. Auch die anderen Leiden seien nach den überzeugenden Feststellungen von Dr. N1 nicht mit höheren Einzel-GdB als 10 zu bewerten und damit für den GdB insgesamt nicht von Bedeutung. Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 16.11.2018 (L 13 SB 280/17) seien die Bescheide aber teilweise aufzuheben. Es habe eine Aufhebung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erfolgen sollen. Die Zukunft im Sinne von § 48 SGB X beginne erst am Tag nach der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X sei hier von einer Bekanntgabe am 01.07.2017 auszugehen. Das geringfügige Obsiegen der Klägerin rechtfertige es nicht, der Beklagten Kosten aufzuerlegen.
Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 15.07.2019 zugestellte Urteil am 16.07.2019 Berufung eingelegt. Ihr sei nicht erinnerlich, wann der Aufhebungsbescheid ihr zugegangen sei. Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.06.2015 (L 13 SB 120/14) führe die fehlende Nennung des Tages, ab dem eine Aufhebung erfolgen solle, zur Unbestimmtheit und damit zur Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung insgesamt. Soweit der erkennende Senat dies anders sehe, sei die Revision zum BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.06.2019 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 28.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 26.07.2017 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 01.10.2019 zu einer Entscheidung des Rechtsstreits im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Senat macht nach vorheriger Anhörung der Beteiligten von der Möglichkeit Gebrauch, im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Die Berufsrichter des Senats sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Berufung zwar zulässig, aber unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.
Das Sozialgericht hat zu Recht die angefochtenen Bescheide nur für den Zeitraum 28.06.2017 bis 01.07.2017 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nur insofern im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert gewesen, als der GdB bereits mit Wirkung ab dem 28.06.2017 und nicht erst ab dem 02.07.2017 herabgesetzt worden ist.
Streitgegenstand ist der Aufhebungsbescheid vom 28.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 26.07.2017. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der des Widerspruchsbescheids (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96, Rn. 11; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 33).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 SGB X. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Vergleichsmaßstab sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bescheides des Beklagten vom 10.12.2014.
Im Vergleich der Verhältnisse am 26.07.2017 und 10.12.2014 ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine wesentliche Änderung liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren GdB begründen (vgl. Teil A Nr. 7a Satz 1 VMG und etwa BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris Rn. 26). Das war hier der Fall. Der GdB betrug 2014 50 und 2017 nur noch 30.
Wegen der Begründung der Höhe des GdB wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts vom 17.06.2019 Bezug genommen, denen der Senat sich nach eigener Prüfung anschließt (vgl. zur Anwendbarkeit von § 153 Abs. 2 SGG auf urteilsersetzende Beschlüsse Keller, a.a.O., § 153 Rn. 2). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Feststellungen zur Höhe des GdB im angefochtenen Urteil nicht angegriffen.
Die angefochtenen Bescheide sind entgegen dem Berufungsvorbringen nicht insgesamt wegen Unbestimmtheit aufzuheben. Der Zeitpunkt, ab dem der vorhergehende Bescheid teilweise aufgehoben und der GdB herabgesetzt wird, wird in diesen Bescheiden zwar nicht genannt. Im Wege der Auslegung ergibt sich aber, dass die Aufhebung ab dem 28.06.2017, also dem Datum des Bescheiderlasses, erfolgt ist. Das Datum des Bescheiderlasses wird ausdrücklich genannt. In der Begründung heißt es sodann, der GdB sei “nun” niedriger zu bewerten (vgl. zur Auslegung von Herabsetzungsbescheiden im hiesigen Zuständigkeitsbereich Urteil des erkennenden Senats vom 16.11.2018 – L 13 SB 280/17, juris Rn. 41). Im Übrigen kann zur Auslegung des Regelungsinhalts eines Bescheides auch ein Begleitschreiben herangezogen werden (vgl. Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 12/11, § 31 Rn. 35 a.E. m.w.N.). Hier wurde der Klägerin zusammen mit dem Aufhebungsbescheid eine Bescheinigung nach § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung übersandt, wonach der GdB nur noch 40 betrage und diese Bescheinigung “ab 28.06.2017” gültig sei. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.06.2015 (L 13 SB 120/14, juris) führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Formulierung der im dortigen Fall gegenständlichen Bescheide offensichtlich von der Formulierung der vorliegenden Bescheide abweicht und das LSG Berlin-Brandenburg zudem mit dem dortigen Verlauf des Verwaltungsverfahrens argumentiert (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 16).
Zu Recht hat das Sozialgericht die Bescheide für den Teilzeitraum 28.06.2017 bis 01.07.2017 aufgehoben. Denn insofern handelte es sich um eine Aufhebung für die Vergangenheit, für die die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht erfüllt waren. Die Zukunft im Sinne von § 48 SGB X beginnt erst mit dem Tag nach der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 16.11.2018, a.a.O., Rn. 42). Die Bekanntgabe erfolgte hier spätestens am 01.07.2017. Dies folgt allerdings nicht aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, da es an dem dafür erforderlichen Abvermerk fehlt (vgl. hierzu Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 37 Rn. 12a m.w.N.). Nach dem 03.07.2017 erfolgte die Bekanntgabe deshalb nicht, weil die Klägerin ihren Widerspruch ausweislich des Datums ihrer Widerspruchsbegründung an ebendiesem Tag formulierte. Eine Bekanntgabe konnte auch nicht am 02.07.2017 erfolgen, da dies ein Sonntag war. Die Bekanntgabe erfolgte schließlich nicht am 03.07.2017. Zum einen ist es nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin ihren mehrseitigen Widerspruch am selben Tag formuliert hat, an dem sie ihn erhalten hat. Zum anderen hat die Klägerin im Berufungsverfahren mehrfach vorgetragen, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wann ihr der Bescheid zugegangen sei. Hätte sie den Widerspruch am Tag des Zugangs des Bescheides verfasst, wäre ihr dies in Erinnerung geblieben.
Die Teilrechtswidrigkeit führte zutreffend zur teilweisen Aufhebung und machte den Bescheid nicht insgesamt rechtswidrig (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 16.11.2018, a.a.O., Rn. 43).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht. Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.06.2015 (L 13 SB 120/14) begründet keine grundsätzliche Bedeutung der Sache im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Zur Bestimmtheit von Verwaltungsakten findet sich eine umfassende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Voraussetzungen der Bestimmtheit sind als geklärt anzusehen. Im Übrigen handelte es sich um die Auslegung von Bescheiden. Im Urteil vom 16.06.2015 argumentierte das LSG Berlin-Brandenburg sowohl mit der spezifischen Formulierung der dortigen Bescheide, als auch mit dem dortigen Verfahrensverlauf (vgl. zum Nichtvorliegen der Zulassungsvoraussetzungen im Übrigen Urteil des erkennenden Senats vom 16.11.2018, a.a.O., Rn. 46).
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte (§§ 153 Abs. 4 Satz 3, 158 Satz 3 SGG).