Als Ursache einer Wehrdienstbeschädigung werden in § 81 Abs. 1 SVG schließlich "die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse" genannt. Auch das BVG enthält in § 1 Abs. 1 BVG eine entsprechende Regelung. Es sind in beiden Vorschriften diejenigen Verhältnisse gemeint, die sich von denen des Zivillebens unterscheiden, den Eigenarten des Wehrdienstes entsprechen und mit Belastungen verbunden sind, die über diejenigen des zivilen Lebens hinausgehen (BSG, Urteil vom 11.06.1974 - 9 RV 122/73 -)
Beispiel:
Am dienstfreien Samstag dürfen die Soldaten laut Kompaniebefehl die Kaserne nicht verlassen. Sie verbringen einen großen Teil des Tages im Gymnastikraum. Beim Bodenturnen erleidet ein Soldat eine Verletzung.
Die Einschränkung der persönlichen Freiheit sowie die beschränkten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sind als wehrdiensteigentümlich anzusehen und stellen eine wesentliche Ursache der Wehrdienstbeschädigung dar (BSG, Urteil vom 08.08.1984 - 9a RV 37/83 -).
oder:
Der Wehrpflichtige W verletzt sich in seiner Freizeit, also nicht im Rahmen eines Dienstplans, beim Volleyballspiel in der Sporthalle auf dem Kasernengelände an der rechten Schulter.
Hier kommt es darauf an, ob der Sport von dem zuständigen Disziplinarvorgesetzten aus dienstlichen Gründen genehmigt und von einem von ihm beauftragten Soldaten oder einer von ihm bestellten Zivilperson, die in einem Dienstverhältnis zur Bundeswehr steht, verantwortlich geleitet war. Ist dies der Fall, steht auch die freiwillige sportliche Betätigung bzw. der dabei erlittene Unfall unter Versorgungsschutz, nun allerdings im Rahmen einer Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung im Sinne des § 81 Abs. 3 Nr. 3 SVG (BSG, Urteil vom 22.04.1998 - B 9 V 20/97 R -).
Überhaupt ist die Kasernierung der Soldaten ein Umstand, der sich ganz wesentlich vom Zivilleben unterscheidet, so dass damit zusammenhängende Geschehnisse (etwa Raufereien; vielleicht sogar Selbstmord) als auf wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen beruhend anerkannt werden können.
aber:
Der in der Kaserne übernachtende Soldat S geht gegen 0:30 Uhr die Treppe vom ersten Stock zum Erdgeschoss in der Kaserne hinunter, rutscht aus und fällt die Treppe hinunter. Er erleidet eine Sprunggelenksfraktur.
Der Gesundheitsschaden ist nicht durch dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden. Dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse sind Verhältnisse, die nur aus dem besonderen Milieu des Wehrdienstes her erklärbar und in der Regel zwangsläufig mit ihm verbunden sind. Demgegenüber stehen die normalen Umstände und Verhaltensweisen sowie die durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben. Davon ausgehend ist das Ausrutschen auf einer in der Kaserne gelegenen Treppe kein außergewöhnlicher Umstand, der über die durchschnittlichen Gefährdungen des Zivillebens hinausgeht (LSG Hamburg, Urteil vom 20.01.2015 - L 3 VE 5/13 -).
Beispiel:
Die bei der Deutschen Bundeswehr tätige Augenärztin wird zur truppenärztlichen Versorgung der im Bundeswehrkrankenhaus tätigen Soldatinnen und Soldaten eingeteilt, soll dabei also quasi hausärztliche Tätigkeiten wahrnehmen. Die Ärztin reagiert emotional aufgewühlt und nimmt 20 Schlaftabletten ein. Seitdem leidet sie unter psychischen Beeinträchtigungen. Eine grundlegende Abweichung vom sonstigen Zivilleben ist nicht zu erkennen. Vergleichsmaßstab ist der Arztberuf im Zivilleben. Auch im ärztlichen Zivilberuf kann es zu einer Vielzahl vergleichbarer Gewissenskonflikte kommen, etwa wenn Ärzte eingebunden in eine Struktur von Anweisungen, gegen eigene Überzeugung oder ohne hinreichende Vorbereitung tätig werden sollen. Dies kann z.b. festgestellt werden, wenn Fachärzte zum Notdienst verpflichtet werden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2017 - L 13 VS 31/15 -).
Die bei der Deutschen Bundeswehr tätige Augenärztin wird zur truppenärztlichen Versorgung der im Bundeswehrkrankenhaus tätigen Soldatinnen und Soldaten angeweisen, dabei also quasi hausärztliche Tätigkeiten wahrnehmen. Die Ärztin wird emotional aufgewühlt und nimmt 20 Schlaftabletten ein. Seitdem leidet sie unter psychischen Beeinträchtigungen.
Von besonderer Bedeutung sind Schädigungen, die anlässlich truppenärztlicher Behandlung, sei es ambulant, sei es stationär, eintreten. Da sich der Soldat einsatzfähig und gesund erhalten muss, er zudem in der Regel gezwungen ist, die Behandlung des Truppenarztes bzw. des Bundeswehrkrankenhauses in Anspruch zu nehmen, ihm also im Gegensatz zum Zivilisten die Möglichkeit der freien Arztwahl verwehrt ist, werden auch solche Schädigungen als wehrdiensteigentümlich bedingt angesehen, die bei einer solchen Behandlung eintreten (BSG, Urteil vom 04.10.1984 - 9a/9 KLV 1/81 - : "Die Entfernung eines Weisheitszahnes in einem Bundeswehrkrankenhaus ist wehrdiensteigentümlich"; ansonsten s. "Zu Risiken bzw. Nicht-Risiken des Ausschlusses der sog. freien Arztwahl bei Soldaten" Bayerisches LSG, Urteil vom 31.07.2013 - L 15 VS 9/10 -). Dies gilt selbst dann, wenn kein ärztlicher Kunstfehler dabei begangen worden ist; schon das Ausbleiben eines Heilerfolgs durch truppenärztliche Behandlung nach einem privaten Unfall führt zu einer Entschädigung (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - 9 VS 1/02 R -).
Sinn und Zweck des Versorgungsschutzes bei truppenärztlicher Behandlung erfordern mithin ein erweitertes Verständnis des Schädigungsbegriffs. Es sollen grundsätzlich alle Risiken abgedeckt werden, die sich bei freier Arztwahl hätten vermeiden lassen. Zu fordern ist allerdings, dass ein anderer Arzt (mit anderer Behandlungsmethode) wahrscheinlich einen besseren Heilerfolg erzielt hätte (BSG, Urteile vom 25.03.2004 - 9 VS 1/02 R - und vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R -).
Indes gibt es auch Einschränkungen des erweiterten Verständnisses des Schädigungsbegriffs: Wenn eine fehlerhafte Bundeswehrbehandlung einer schwangeren Soldatin zu einer nach Geburt auftretenden Hirnblutung des Kindes mit erheblichen gesundheitlichen Folgen führt, hat das Kind keinen Versorgungsanspruch nach dem SVG, wenn bei der Mutter infolge der fehlerhaften Behandlung keine gesundheitliche Schädigung eingetreten ist. Das Kind einer Soldatin ist nur geschützt, wenn es während der Schwangerschaft durch eine Wehrdienstbeschädigung der Mutter, die hier nicht vorliegt, oder während des Geburtsvorgangs unmittelbar geschädigt worden ist (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 29.03.2019 - L 2 VS 48/16 -, bestätigt durch BSG, Urteil vom 30.09.2021 - 9 V 1/19 R -).
Zu entschädigen ist nicht der gesamte Gesundheitsschaden, sondern die Differenz zwischen dem Heilerfolg, der wahrscheinlich bei einer anderen Behandlungsmethode erreicht worden wäre, und dem bei truppenärztlicher Behandlung tatsächlich erzieltem Ergebnis.
Auch wenn der Soldat vom Truppenarzt einem frei praktizierenden Facharzt zur Mitbehandlung überwiesen worden ist, gelten insoweit dieselben Grundsätze. Nur wenn das Eigeninteresse des Soldaten an der ärztlichen Behandlung im Vordergrund steht, entfällt der Schutz des SVG.
Beispiel:
Bei der Operation eines lebensbedrohlichen, nicht wehrdienstbedingten Morbus Hodgkin (bösartige Lymphsystemerkrankung) kommt es zu einer im Risikobereich der Operation liegenden Stimmbandlähmung, worüber der Soldat auch vorher ordnungsgemäß aufgeklärt wurde.
Diese ist kein Wehrdienstschaden, weil die operative Maßnahme im überwiegenden Eigeninteresse des Soldaten lag (BSG, Urteil vom 24.03.1987 - 4b RV 13/86 -).
Das dürfte allerdings nicht gelten, wenn festgestellt werden kann, dass bei eine anderen Behandlungsmethode die Stimmbandlähmung wahrscheinlich hätte vermieden werden können (s.o. BSG, Urteil vom 25.03.2004 - 9 VS 1/02 R -).