Schon früh hat sich im Bereich des SVG die Auffassung durchgesetzt, dass bei unfallunabhängigen, aber dem dienstlichen Risikobereich (wehrdiensteigentümliche Verhältnisse) zuzurechnenden Erkrankungen von Soldaten das Versorgungsrecht nicht völlig eigenständig anzuwenden ist.
Wird ein Unfall als Schädigungsursache angenommen - das gilt auch für den Ausbruch einer Infektionskrankheit etwa in der Kriegsgefangenschaft -, so sind nach ständiger Rechtsprechung wehrdiensteigentümliche Verhältnisse solche, die der Eigenart des Dienstes entsprechen und eng mit ihm verbunden sind. Handelt es sich aber um unfallunabhängige Krankheiten, so bedarf es anderer Abgrenzungskriterien, weil Krankheiten regelmäßig nicht auf ein äußeres Geschehen zurückgeführt werden können, sondern sich aufgrund vielfältiger Einflüsse entwickeln, denen der Einzelne im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist, z.B. persönliche Lebensweise, Erbanlagen, Umwelteinwirkungen. Natürlich kann auch der Wehrdienst eine Krankheit mitursächlich hervorrufen, sogar für sich allein gesundheitliche Schäden herbeiführen. Verlässliche Kriterien über die Verursachungsanteile kann die medizinische Wissenschaft vielfach nicht in ausreichendem Maße liefern. Vor denselben Schwierigkeiten stand und steht die gesetzliche Unfallversicherung. Auch dort sind Unfall und Berufskrankheit voneinander abzugrenzen. Daran hat die Rechtsprechung zum SVG wiederholt angeknüpft und einen Rückgriff auf das Berufskrankheitenrecht für zutreffend angesehen (z.B. BSG, Urteil vom 26.02.1992 - 9a RV 4/91 -).
Ob bestimmte Einwirkungen typischerweise eine bestimmte Krankheit hervorrufen, wird nicht aufgrund von Ermittlungen im Einzelfall festgestellt, sondern nach umfassenden Ermittlungen allgemein durch Verordnung entschieden (Berufskrankheitenverordnung - BKVO -). War ein Soldat Einwirkungen ausgesetzt, die im Unfallversicherungsrecht zu der Erkenntnis geführt haben, dass diese das Krankheitsrisiko auffällig erhöhen und ist die Krankheit deshalb in die BKVO aufgenommen worden, so werden die Einwirkungen auch wehrdiensteigentümlich sein. Das gilt entsprechend der Regelung in § 9 Abs. 2 SGB VII (§ 551 Abs. 2 RVO) auch, wenn eine Erkrankung in die BKVO aufgenommen werden müsste.
Grundsätzlich gilt: Es muss nur noch nachgewiesen werden, dass die Krankheit in den Katalog der BKVO aufgenommen ist (oder aufgenommen werden müsste) und dass der Soldat den dortigen Vorgaben entsprechend dem Gefährdungspotential ausgesetzt gewesen war.
Beispiele:
In einer Delaborierungsanlage der Bundeswehr wurden ab 1956 über einen längeren Zeitraum Sprengbomben mit Dampf ausgeschmolzen. Nachdem mit Dinitrobenzol gefüllte Bomben ausgedüst worden waren, erkrankten vier Soldaten an Unwohlsein, Brustbeklemmung und hochgradiger Cyanose. Die Lebergrenzen waren verbreitert. Das Blutbild war typisch verändert.
Eine Wehrdienstbeschädigung ist anzunehmen, denn Erkrankungen durch Nitroverbindungen des Benzols sind in Nr. 1304 der Anlage 1 zur BKVO als Berufskrankheiten anerkannt. Die Soldaten waren nachweisbar dem Risiko einer Nitro-/Benzolverarbeitung ausgesetzt. Die Krankheitserscheinungen gehören typisch in das Bild der Nitro-/Benzolerkrankungen.
oder:
Der Wehrpflichtige W erkrankte kurz nach der Einberufung an Bronchialasthma als Reaktion auf Hausstaubmilben, weil - wie er meinte - es in der Kaserne schmutziger sei als zu Hause.
Hier ist keine Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. In der BKVO findet sich zwar die durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung unter Nr. 4301. Da aber Hausstaubmilben überall, nicht nur in Kasernen, vorkommen und die Hausstauballergie nicht durch eine erhöhte Menge von Allergenen ausgelöst wird, konnte eine besondere (berufs- oder) diensttypische Gefährdung (Folge: Berufskrankheit) nicht nachgewiesen werden (BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 25/92 -).
oder:
Die depressive Neurose eines homosexuellen Soldaten, der Hänseleien und Benachteiligungen seiner Kameraden und Vorgesetzten ausgesetzt war, kann nicht als WDB anerkannt werden, weil psychische Störungen in der Anlage 1 zur BKVO nicht erfasst sind (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RV 26/90 - ).
Auch wenn die Entscheidung aus 1993 nach "heutigem Zeitgeist" auf den ersten Blick überdenkenswert erscheinen könnte, ist zu berücksichtigen, dass derartige Diskriminierungen heute wie damals keine überwiegend berufliche Komponente enthalten, sondern letztlich im gesamten gesellschaftlichen Leben nicht ausgeschlossen sind. Es handelt sich also um keine beruflich bedinget psychische Erkrankung.
Zu Berufskrankheiten s. schließlich auch III. 2.) Berufskrankheiten bei Soldaten - Rechtsprechung
Nicht außer Betracht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG vorsieht, dass durch den Wehrdienst wahrscheinlich hervorgerufene Erkrankungen in den Schutzbereich des Gesetzes einbezogen werden können: Wenn nämlich die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden ("Kann-Versorgung", s. dazu im Einzelnen unten "VII. Ursächlicher Zusammenhang - Theorie der wesentlichen Bedingung"). Die Zustimmung ist bei einer Reihe von Krankheiten generell erteilt worden, so etwa bei Krebs, multipler Sklerose oder chronischer Polyarthritis ("echtes" Rheuma), so dass es hier nicht auf die Regelungen des Rechts der Unfallversicherung ankommt.