Soziales
Entschädigungsrecht

LSG NRW, Urteil vom 29.09.2010 - L 6 VJ 23/05 -

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch wegen eines Impfschadens nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Der am 00.00.1986 geborene Kläger beantragte am 29.09.2003 Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz. Er leide an einer cerebralen Parese, Hemiparese rechts und Skoliose als Folge einer Impfung vom 08.09.1986 gegen Diptherie-Tetanus-Poliomyelitis. Das Versorgungsamt B holte einen Bericht des Kinderarztes Dr. Q vom 08.10.2003 ein und zog den Impfpass des Klägers sowie das Vorsorgeuntersuchungsheft bei. Ebenfalls bat es das Gesundheitsamt I um Auskunft. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr. M von Februar 2004, der Komplikationen während der Schwangerschaft und die Frühgeburt des Klägers als Ursache der Gesundheitsstörungen ansah, lehnte das Versorgungsamt den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 11.03.2004 ab. Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2004 zurück.

Der Kläger hat am 09.08.2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Aachen erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.

Das SG hat ein Gutachten des Kinderepitologen Dr. Q vom 18.03.2005 eingeholt. Der Sachverständige hat einen Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und der Impfung verneint. Die im Säuglingsalter aufgetretenen Blitz-Nick-Saalam (BNS)-Krämpfe seien vielmehr auf prä- oder perinatal verursachte Schädigungen des kindlichen Gehirns zurückzuführen. Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG im Weiteren ein Gutachten des Internisten Prof. Dr. I. vom 01.09.2005 eingeholt. Dieser ist aufgrund von damals erhobenen Laborwerten von einer verminderten Abwehrlage des Klägers vor der Impfung ausgegangen. Er hat angenommen, dass der prä- und perinatal entstandene Gehirnschaden des Klägers durch die Impfung während der verminderten Abwehrlage getriggert worden sei. Die Gesundheitsschäden des Klägers seien im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2005 abgewiesen, da ein Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschädigung nicht festgestellt werden könne. Bereits die Primärschädigung sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen. Es bestünden ernste Zweifel, dass die Schutzimpfung am 08.09.1986 zum Auftreten von BNS-Krämpfen geführt habe. Wenngleich der Kläger wohl ungefähr eine Woche nach der Schutzimpfung sog. BNS-Krämpfe gezeigt habe, so genüge dieser zeitliche Zusammenhang nicht, um auch einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen. Zweifel am ursächlichen Zusammenhang würden dadurch ausgelöst, dass der Kläger an postpartaler Asphyxie gelitten habe und bei ihm noch vor der Schutzimpfung ein Krampfanfall aufgetreten sei. Der Auffassung des Prof. I. könne die Kammer nicht folgen. Dieser Arzt stelle lediglich verschiedene Diagnosen, die er jedoch nicht mithilfe entsprechender Befunde belege.

Gegen das ihm am 29.11.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.12.2005 Berufung eingelegt. Er stützt sich auf die Auffassung von Prof. Dr. I., dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und den BNS-Anfällen sowie den heutigen Gesundheitsstörungen wahrscheinlich sei. Die Anfälle seien zeitnah nach der Impfung aufgetreten. Wenngleich er bei der Geburt eine Schädigung erlitten habe, so habe er sich anschließend bis zur Impfung dennoch gut entwickelt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 23.11.2005 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2004 zu verurteilen, bei ihm eine rechtsseitige spastische Cerebralparese, Störung der Feinmotorik, leichtgradige Intelligenzminderung und Dyskalkulie, Orientierungsprobleme als Folge der Impfung gegen Diptherie, Tetanus, Poliomyelitis am 08.09.1986 anzuerkennen und ihm Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat eine Auskunft des Robert-Koch-Instituts vom 11.12.2007 sowie auf Antrag des Klägers eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. I. vom 08.12.2008 eingeholt.

Der Beklagte hat der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. I. mit einer Stellungnahme des Prof. Dr. T vom 16.02.2009 widersprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Richtiger Klagegegner im Berufungsverfahren ist seit dem 01.01.2008 der für den Kläger örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland (vgl. zur Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts z.B. Urteil des erkennenden Senats vom 11.03.2008, L 6 (10) VS 29/07, bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2008, B 9 VS 1/08 R; Urteil des BSG vom 11.12.2008, B 9 V 3/07 R; Urteil des erkennenden Senats vom 11.03.2008, L 6 V 28/07 und Urteil vom 11.03.2008, L 6 VG 13/06, bestätigt durch BSG Urteil vom 23.04.2009, B 9 VG 1/08 R).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen als Folge der Diphterie-Tetanus-Poliomyelitis-Impfung vom 08.09.1986. Er erfüllt weder die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versorgung als Pflichtleistung gemäß § 60 Abs. 1 i.V.m. § 61 S. 1 IfSG noch die der sog. Kannversorgung nach § 60 Abs. 1 i.V.m. § 61 S. 2 IfSG.

Gemäß § 60 Abs. 1 i.V.m. § 61 S. 1 des am 01.01.2001 in Kraft getretenen Infektionsschutzgesetzes erhält derjenige, der u.a. durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieses Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Impfschaden ist nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 11 lfSG ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Der Versorgungsanspruch setzt voraus, dass durch eine Impfung eine gesundheitliche (Primär-)Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als deren Folgen zu bewerten sind. Die Impfung als das schädigende Ereignis, der Impfschaden als die (Primär-)Schädigung und die Schädigungsfolgen müssen mit an Sicherheit grenzender, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84 = SozR 3850 § 51 Nr. 9; Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R). Lediglich für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der (Primär-)Schädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen sie spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechende Umstände mindestens deutlich überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84, a.a.O, m.w.N.; BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 = SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Ausweislich der Eintragungen im Impfbuch ist der Kläger am 08.09.1986 gegen Diphterie-Tetanus-Poliomyelitis geimpft worden. Diese Impfungen erfolgten unstreitig aufgrund einer öffentlichen Empfehlung. Etwa eine Woche später sind von den Eltern und später am 23.09.1986 im Krankenhaus Anfälle beobachtet und als BNS-Anfälle diagnostiziert worden.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind die BNS-Anfälle und die jetzigen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich im Sinne der Entstehung durch die erfolgten Impfungen verursacht worden. Die Anerkennung einer Erkrankung als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung setzt nach Teil C Nr. 7 a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008, Anlageband zum BGBl. Teil I Nr. 57 vom 15.12.2008) voraus, dass zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs, hier der Impfung, noch kein der Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen vorhanden war. Dies ist hier nicht der Fall. Nach Aktenlage und den übereinstimmenden Ausführungen aller Sachverständigen lag bei dem Kläger aufgrund der prä- und/bzw. perinatalen Gehirnschädigung bereits vor der Impfung eine Vorschädigung vor.

Die BNS-Anfälle sind - entgegen der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. I. - auch nicht im Sinne der Verschlimmerung durch die Impfung verursacht worden. Nach den aktenkundigen Unterlagen und insbesondere den Darlegungen der Sachverständigen kann unter Berücksichtigung der dort aufgeführten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht davon ausgegangen werden, dass die Impfung wahrscheinlich wesentlich das Auftreten der BNS-Anfälle und die weiteren Gesundheitsstörungen des Klägers verursacht hat. Ein solcher Zusammenhang ist möglich, nicht aber - wie für die Gewährung von Entschädigung notwendig - wahrscheinlich (vgl. hierzu auch VMG Teil C Nr. 3 d).

Für die Annahme eines Zusammenhangs spricht lediglich die zeitliche Koinzidenz zwischen Impfung und Auftreten der BNS-Anfälle. Ein zeitlicher Zusammenhang allein genügt jedoch nicht, um einen Ursachenzusammenhang als wahrscheinlich anzusehen (vgl. auch Teil C Nr. 3c VMG). Vielmehr muss der ungünstige Einfluss eines bestimmten Tatbestandes auf die Verschlimmerung der Erkrankung dargelegt werden, da Krankheiten aller Art, insbesondere innere Leiden, zu jeder Zeit auch ohne wesentliche Mitwirkung eines schädigenden Vorgangs entstehen können (VMG, a.a.O.). Bei den bei dem Kläger im zeitlichen Anschluss an die Impfung aufgetretenen BNS-Anfällen zeigt sich die Berechtigung dieses Erfordernisses in besonderem Maße. Grund hierfür ist, dass sich BNS-Anfälle auch ohne exogene Schädigung typischerweise im 2. bis 8. Lebensmonat manifestieren, bei Jungen deutlich häufiger als bei Mädchen, somit die Anfälle bei dem Kläger gerade im auch sonst üblichen Zeitrahmen aufgetreten sind.

Außer der zeitlichen Koinzidenz sind Gründe, die einen ungünstigen Einfluss der Impfung belegen könnten, nicht ersichtlich. Vielmehr sind andere Ursachenzusammenhänge medizinisch möglich, die die Impfung als Kausalglied nicht beinhalten. Verschiedene Indizien lassen an einem ursächlichen Einfluss der Impfung zweifeln. Medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die Hinweise auf einen solchen Einfluss geben könnten, fehlen.

Bereits die bei dem Kläger vor und während der Geburt entstandene schwere Schädigung (Frühgeburt mit maschineller Beatmung, einer Sepsis und der Notwendigkeit eines anschließenden mehrwöchigen Krankenhausaufenthalts sowie festgestellte Hirnschädigung) ist nach der medizinischen Lehrmeinung als (alleinige) Ursache für das Auftreten von BNS-Anfällen anerkannt.

Ebenfalls entspricht es nach den Sachverständigengutachten dem wissenschaftlichen Stand, dass eine frühkindliche Hirnschädigung allein (d.h. auch ohne BNS-Anfälle) zu den beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen führen kann. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger nach der Krankenhausentlassung im Anschluss an seine Geburt zunächst unauffällig entwickelt hat. Eine frühe Hirnschädigung wird in vielen Fällen nicht sofort evident, sondern fällt häufig erst dann auf, wenn altersentsprechende Funktionen nicht zeitgerecht oder nicht in vollem Umfang erreicht werden. Nach der medizinischen Literatur ist dies oft erst im Alter von 9 Monaten der Fall, wenn sich das Kind nicht von allein aufsetzt (vgl Bobath/Bobath, Die motorische Entwicklung bei Zerebralparese, Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1994).

Ebenso ist zu beachten, dass der Kläger bereits bei seinem Krankenhausaufenthalt kurz nach der Geburt einen Krampfanfall, wenngleich nicht in der Form eines BNS-Anfalls erlitten, somit bereits eine Anfallbereitschaft aufgezeigt hat. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht darüber hinaus, dass vorige und spätere gleichartige Impfungen ohne Komplikationen geblieben sind.

Schließlich konnten die Sachverständigen keinerlei Studien benennen, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und BNS-Anfällen auch nur vermuten. Soweit Studien durchgeführt worden sind, lehnen diese im Gegenteil einen Zusammenhang zwischen Impfung und neurologischen Schädigungen ab. Dieser von den Sachverständigen wiedergegebene aktuelle Stand der Wissenschaft spiegelt sich auch in den Arbeitsergebnissen der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission (STIKO), wie sie im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht werden. Im diesbezüglich aktuellsten Epidemiologischen Bulletin Nr. 30 vom 02.08.2010 (S. 292) wird wegen der Erkenntnisse zu möglichen Impfkomplikationen auf das Epidemiologische Bulletin 25/2007 vom 22.06.2007 verwiesen. Dort wiederum wird - wie auch in den früheren Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht - eine Epilepsie als Komplikation nach einer Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis nicht erwähnt und somit weder nach der damaligen noch der derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Auffassung ernsthaft in Erwägung gezogen.

Soweit der Sachverständige Prof. Dr. I. einen Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und BNS-Anfällen darauf stützt, dass nach den im November 1986 erhobenen Laborbefunden von einer verminderten Abwehrlage des Klägers bei der Impfung ausgegangen werden müsse, ist dies als Begründung ungeeignet. Denn die Laborwerte von November 1986 mögen als Beleg einer damals geminderten Abwehrlage dienen, über die Situation anlässlich der zwei Monate zuvor erfolgten Impfung lassen sie keine zuverlässige Beurteilung zu. Aber auch eine verminderte Abwehrlage bei der Impfung kann keinen Hinweis auf einen Kausalzusammenhang geben. Denn weder ist von Prof. Dr. I. belegt noch sonst aus den Sachverständigengutachten ersichtlich, dass BNS-Anfälle dann durch eine Impfung verursacht werden können, wenn eine geschwächte Abwehrlage besteht. Es ist keinerlei wissenschaftliche Literatur zitiert, wonach eine geschwächte Abwehrlage vor Impfung ein Tatbestand ist, der sicher oder zumindest wahrscheinlich eine Impfkomplikation in Form von BNS-Anfällen bedingt.

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung der sog Kannversorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S. 2 IfSG. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Nach Teil C Nr. 4b VMG ist eine Kannversorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kannversorgung (mit Zustimmung des Ministeriums) zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb VMG). Dabei reicht nicht die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Vielmehr muss es wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs vertritt. Die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (BSG, Urteil vom 10.11.1993, 9/9a RV 41/92 = SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Entsprechend genügt es nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang behaupten. Vielmehr ist erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94 = SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - abweichend von den Voraussetzungen bei einer Pflichtversorgung - (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits der Überzeugung der überwiegenden medizinischen Fachwelt dienen. Die - niedrigere - Schwelle der Kannversorgung ist bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt ("qualifizierte" Möglichkeit vgl. Rösner, MedSach 1990, 4 oder "gute" Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, a.a.O. und Urteil vom 17.07.2008, B 9/9a VS 5/06 R) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). Es darf also nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern muss sich vielmehr um eine "gute Möglichkeit" handeln, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, a.a.O.).

Die BNS-Anfälle des Klägers sind eine Erkrankung, deren Ätiologie und Pathogenese nach den derzeitigen medizinischen Erkenntnissen weiterhin zu großen Anteilen ungewiss ist. Im Hinblick auf die als schädigende Ereignisse angenommenen Impfungen des Klägers fehlt es jedoch an einer fundierten, einen Ursachenzusammenhang bejahenden medizinischen Lehrmeinung. Dies zeigen bereits die oben angegebenen von der STIKO im Epidemiologischen Bulletin 2007, Nr. 25 veröffentlichten Arbeitsergebnisse. Derzeit gibt es keine wissenschaftlichen Fakten oder Hinweise, die eine Verursachung der BNS-Anfälle durch eine der beim Kläger vorgenommenen Impfungen annehmen oder gar beweisen könnten. Vielmehr haben Studien eine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfungen und neurologischen Schädigungen verneint. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht dadurch gewonnen werden, dass der Sachverständige Prof. Dr. I. einen Ursachenzusammenhang für wahrscheinlich hält. Dessen Meinung stellt lediglich eine - im Wesentlichen auf der zeitlichen Koinzidenz von Impfung und BNS-Anfällen beruhende - persönliche Auffassung dar, der es an wissenschaftlichen Argumenten, Fakten und Belegen fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.