Teil A 5 VMG: Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei
Kindern und Jugendlichen
Allgemeine
Anmerkungen
- Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und
Jugendlichen sind nicht nur die bei der
Hilflosigkeit genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch
die Anleitung zu diesen "Verrichtungen", die Förderung der
körperlichen und geistigen Entwicklung (z. B. durch Anleitung im
Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der
Umwelt und zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige
Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage
der Hilflosigkeit von Bedeutung sind.
- Stets ist nur der Teil der Hilfsbedürftigkeit zu
berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der
Hilfsbedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes
überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen
notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein.
Bereits im ersten Lebensjahr können infolge der Behinderung
Hilfeleistungen in solchem Umfang erforderlich sein, dass
dadurch die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit
erfüllt sind.
- Die Besonderheiten des Kindesalters führen
dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang
der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht
immer eine Korrelation besteht, so dass - anders als bei
Erwachsenen - auch schon bei niedrigerem GdS Hilflosigkeit
vorliegen kann.
Anmerkung
- Bei angeborenen oder im Kindesalter aufgetretenen
Behinderungen ist im Einzelnen folgendes zu beachten:
aa) Bei geistiger Behinderung kommt häufig auch bei einem GdS
unter 100 - und dann in der Regel bis zur Vollendung des 18.
Lebensjahres - Hilflosigkeit in Betracht, insbesondere wenn das
Kind wegen gestörten Verhaltens ständiger Überwachung bedarf.
Hilflosigkeit kann auch schon im Säuglingsalter angenommen
werden, z. B. durch Nachweis eines schweren Hirnschadens.
Anmerkung
bb) Bei tief greifenden Entwicklungsstörungen, die für sich
allein einen GdS von mindestens 50 bedingen, und bei anderen
gleich schweren, im Kindesalter beginnenden Verhaltens- und
emotionalen Störungen mit lang andauernden erheblichen
Einordnungsschwierigkeiten ist regelhaft Hilflosigkeit bis zum
18. Lebensjahr anzunehmen.
Anmerkung
cc) Bei hirnorganischen Anfallsleiden ist häufiger als bei
Erwachsenen auch bei einem GdS unter 100 unter Berücksichtigung
der Anfallsart, Anfallsfrequenz und eventueller
Verhaltensauffälligkeiten die Annahme von Hilflosigkeit
gerechtfertigt.
Anmerkung
dd) Bei sehbehinderten Kindern und Jugendlichen
mit Einschränkungen des Sehvermögens, die für sich allein einen
GdS von wenigstens 80 bedingen, ist bis zur Vollendung des 18.
Lebensjahres Hilflosigkeit anzunehmen.
Anmerkung
ee) Bei Taubheit und an Taubheit grenzender
Schwerhörigkeit ist Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung
und dann - insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten
Kommunikationsbedarfs - in der Regel bis zur Beendigung der
Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählen in diesem
Zusammenhang: der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine
berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare
Maßnahmen der beruflichen Bildung.
Anmerkung
ff) Bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und
kompletter Gaumensegelspalte ist bis zum Abschluss der
Erstbehandlung (in der Regel ein Jahr nach der Operation)
Hilflosigkeit anzunehmen. Die Kinder benötigen während dieser
Zeit in hohem Maße Hilfeleistungen, die weit über diejenigen
eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinausgehen, vor allem bei
der Nahrungsaufnahme (gestörte Atmung, Gefahr des
Verschluckens), bei der Reinigung der Mundhöhle und des
Nasen-Rachenraumes, beim Spracherwerb sowie bei der Überwachung
beim Spielen.
Anmerkung
gg) Beim Bronchialasthma schweren Grades ist
Hilflosigkeit in der Regel bis zur Vollendung des 16.
Lebensjahres anzunehmen.
Anmerkung
hh) Bei angeborenen oder in der Kindheit erworbenen Herzschäden
ist bei einer schweren Leistungsbeeinträchtigung entsprechend
den in Teil B Nummer 9.1.1 angegebenen Gruppen 3 und 4
Hilflosigkeit anzunehmen, und zwar bis zu einer Besserung der
Leistungsfähigkeit (z. B. durch Operation), längstens bis zur
Vollendung des 16. Lebensjahres.
Anmerkung
ii) Bei Behandlung mit künstlicher Niere ist Hilflosigkeit bis
zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen. Bei einer
Niereninsuffizienz, die für sich allein einen GdS von 100
bedingt, sind Hilfeleistungen in ähnlichem Umfang erforderlich,
sodass auch hier bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres die
Annahme von Hilflosigkeit begründet ist.
Anmerkung
jj) Beim Diabetes mellitus ist Hilflosigkeit
bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen.
Anmerkung
kk) Bei Phenylketonurie ist Hilflosigkeit ab Diagnosestellung -
in der Regel bis zum 14. Lebensjahr - anzunehmen. Über das 14.
Lebensjahr hinaus kommt Hilflosigkeit in der Regel nur noch dann
in Betracht, wenn gleichzeitig eine relevante Beeinträchtigung
der geistigen Entwicklung vorliegt.
Anmerkung
ll) Bei der Mukoviszidose ist bei der
Notwendigkeit umfangreicher Betreuungsmaßnahmen - im Allgemeinen
bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres - Hilflosigkeit
anzunehmen. Das ist immer der Fall bei Mukoviszidose, die für
sich allein einen GdS von wenigstens 50 bedingt (siehe Teil B
Nummer 15.5). Nach Vollendung des 16. Lebensjahres kommt
Hilflosigkeit bei schweren und schwersten Einschränkungen bis
zur Vollendung des 18. Lebensjahres in Betracht.
Anmerkung
mm) Bei malignen Erkrankungen (z. B. akute
Leukämie) ist Hilflosigkeit für die Dauer der zytostatischen
Intensiv-Therapie anzunehmen.
Anmerkung
nn) Bei angeborenen, erworbenen oder therapieinduzierten
schweren Immundefekten ist Hilflosigkeit für die Dauer des
Immunmangels, der eine ständige Überwachung wegen der
Infektionsgefahr erforderlich macht, anzunehmen.
Anmerkung
oo) Bei der Hämophilie ist bei Notwendigkeit der
Substitutionsbehandlung - und damit schon bei einer
Restaktivität von antihämophilem Globulin von 5% und darunter -
stets bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres, darüber hinaus
häufig je nach Blutungsneigung (zwei oder mehr ausgeprägte
Gelenkblutungen pro Jahr) und Reifegrad auch noch weitere Jahre,
Hilflosigkeit anzunehmen.
Anmerkung
pp) Bei der juvenilen chronischen Polyarthritis ist
Hilflosigkeit anzunehmen, solange die Gelenksituation eine
ständige Überwachung oder andauernd Hilfestellungen beim
Gebrauch der betroffenen Gliedmaßen sowie Anleitungen zu
Bewegungsübungen erfordert, in der Regel bis zur Vollendung des
16. Lebensjahres. Bei der systemischen Verlaufsform
(Still-Syndrom) und anderen systemischen Bindegewebskrankheiten
(z.B. Lupus erythematodes, Sharp-Syndrom, Dermatomyositis) ist
für die Dauer des aktiven Stadiums Hilflosigkeit anzunehmen.
qq) Bei der Osteogenesis imperfecta ist die
Hilflosigkeit nicht nur von den Funktionseinschränkungen der
Gliedmaßen sondern auch von der Häufigkeit der Knochenbrüche
abhängig. In der Regel bedingen zwei oder mehr Knochenbrüche pro
Jahr Hilflosigkeit. Hilflosigkeit aufgrund einer solchen
Bruchneigung ist solange anzunehmen, bis ein Zeitraum von zwei
Jahren ohne Auftreten von Knochenbrüchen abgelaufen ist,
längstens jedoch bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres.
rr) Bei klinisch gesicherter Typ-I-Allergie gegen schwer
vermeidbare Allergene (z.B. bestimmte Nahrungsmittel), bei der
aus dem bisherigen Verlauf auf die Gefahr lebensbedrohlicher
anaphylaktischer Schocks zu schließen ist, ist Hilflosigkeit -
in der Regel bis zum Ende des 12. Lebensjahres - anzunehmen.
Anmerkung
ss) Bei der Zöliakie kommt Hilflosigkeit nur ausnahmsweise in
Betracht. Der Umfang der notwendigen Hilfeleistungen bei der
Zöliakie ist regelmäßig wesentlich geringer als etwa bei Kindern
mit Phenylketonurie oder mit Diabetes mellitus.
Anmerkung
- Wenn bei Kindern und Jugendlichen
Hilflosigkeit festgestellt worden ist, muss bei der Beurteilung
der Frage einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse Folgendes
beachtet werden: Die Voraussetzungen für die Annahme von
Hilflosigkeit können nicht nur infolge einer Besserung der
Gesundheitsstörungen entfallen, sondern auch dadurch, dass
behinderte Jugendliche infolge des Reifungsprozesses - etwa nach
Abschluss der Pubertät - ausreichend gelernt haben, die wegen
der Behinderung erforderlichen Maßnahmen selbstständig und
eigenverantwortlich durchzuführen, die vorher von Hilfspersonen
geleistet oder überwacht werden mussten.
Anmerkung